Zum Kotzen -Freigabe von Laborfleisch: Wenn der Bioreaktor das Rind ersetzt

In den USA können Verbraucher kultiviertes Fleisch kaufen. Ein Experte erklärt, wie kultiviertes Fleisch produziert wird.

Die Regulierungsbehörden in den Vereinigten Staaten haben den Verkauf von zwei kultivierten Fleischprodukten zugelassen. Das Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten habe den Unternehmen „Upside Foods“ und „Good Meat“ die Zulassung erteilt, wie diese in Pressemitteilungen bekannt gaben. Sie dürfen ihre Produkte in den USA nun auf den Markt bringen. Damit sind die USA das zweite Land nach Singapur, in dem kultiviertes Fleisch für den Verkauf freigegeben ist.

Nick Lin-Hi beantwortet diese Frage mit einem „Ja“. Er ist Professor an der Universität Vechta in Niedersachen und beschäftigt sich an seinem Lehrstuhl auch mit der Ernährung der Zukunft und disruptiver Innovation. Den Markteintritt des Laborfleischs in den USA hält der Experte für eine folgerichtige Entwicklung. In Übersee sei man immer schon aufgeschlossener für technologische und disruptive Entwicklungen gewesen.

Lin-Hi erklärt im Gespräch mit dem Wochenblatt, „noch befinden wir uns beim kultivierten Fleisch in einer Kleinserienproduktion. Jedoch ist die Frage, wann es einen Massenmarkt dafür geben wird, nicht ob, sondern wann.“

Der Preis jedenfalls wird Konsumenten schon bald nicht mehr davon abschrecken: Laut Lin-Hi kostet ein Patty mit Fleisch aus dem Labor bereits unter zehn Dollar. 2013 zahlte man für eine vergleichbare Menge noch 250.000 Dollar. Der Markteintritt in den USA folgt laut dem Professor dabei einem klaren Muster, dass etwa auch beim Elektroautobauer Tesla zu beobachten gewesen ist. „Produzenten verkaufen das kultivierte Fleisch erst einmal hochpreisig dort, wo hohe Zahlungsbereitschaft herrscht. Etwa in Restaurants der Sternegastronomie. Dann skaliert man die Produktionsvolumina, wodurch es dann wiederum zu Preissenkungen kommen wird.“

Doch um das Volumen zu erhöhen, stehen die Unternehmen noch vor technischen Herausforderungen. Grob erklärt, läuft die Produktion von Laborfleisch so ab: Tierische Zellen werden per Biopsie entnommen, beispielsweise aus dem Muskelgewebe. Diese Zellen werden aufbereitet, heißt in einen Zustand versetzt, in dem sie sich teilen können. Das erfolgt erst in der Petrischale, dann in einem Bioreaktor: Die Zellen, versammelt um ein Gerüst das 3-D-Wachstum ermöglicht, werden mit Nährstoffen wie Aminosäuren, Kohlenhydraten oder Salzen „gefüttert“. Diese Nährstoffe können auch aus der Landwirtschaft stammen. 

Nach ein paar Wochen kann man die Fleischfasern „ernten“. Sie sind ähnlich wie Brät und eignen sich für formbare Fleischprodukte. Und gesundheitlich, nach derzeitigem Kenntnisstand, ebenso unbedenklich wie Produkte aus umsichtig arbeitender Landwirtschaft.

Es gibt aber auch mahnende Stimmen unter Experten, was das Fleisch aus dem Labor betrifft. Wilhelm Windisch, langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Tierernährung der TU München, erklärte im vergangenen Jahr in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Die Laborfleischerzeugung ist eine regelrechte Vernichtungsmaschine für vegane Lebensmittel.“ Es handle sich dabei nur um eine andere Form der Nutztierhaltung, mit sehr hohem Aufwand. Effiziente Lösungen aus dem Tierreich zu Ernährung und Gesundheit der Organismen müssten mit hohem Aufwand ins Labor übertragen werden. 

Und dafür setze man das „höchstwertige vegane Futter“ das man sich vorstellen könne, ein. Also zum Beispiel jene oben erwähnten Aminosäuren. Mit Laborfleisch würde die Menschheit nur eines gewinnen: Das sie kein Tier dafür schlachten muss.

Doch gerade das Vermeiden von Tiertötungen führen Befürworter des kultivierten Fleisches als Argument ins Feld. Allerdings ist es bisher noch nicht ganz stichhaltig, denn oft wird Kälberserum bei der Produktion verwendet. Das benötigen die Unternehmen für den Wachstumsprozess der Zelle. Der Einsatz dieses Serums stößt auf bei Tierschutzverbänden oder Veganern auf Kritik, weil das Serum von toten Tieren gewonnen wird. Mittlerweile, erklärt Professor Lin-Hi, entwickle man allerdings Alternativen zum Kälberserum. Sie werden dann aus pflanzlichen Stoffen bestehen.

Laut Experte Lin-Hi sind es nicht nur Start-ups, sondern auch große Player wie JBS Foods oder, in Deutschland, Rügenwalder Mühle, die in die Forschung um das kultivierte Fleisch investieren. „Die ersten Produkte am Markt werden Hybride sein, also eine Mischung aus kultiviertem Fleisch und pflanzlichen Bestandteilen. Ich erwarte noch in diesem Jahrzehnt Preisparität mit konventionell hergestelltem Fleisch.“

Sind Entwicklungen dieser Art also eine Bedrohung für die heimische Landwirtschaft? Ja und nein, sagt Lin-Hi. Ja, weil diese Produkte langfristig deutlich günstiger als Fleisch aus der Landwirtschaft sein könnten. Nein, weil Landwirte in diesen sich noch entwickelnden Markt hineinstoßen könnten. Und mit dem Vertrauensvorschuss, den sie bei vielen Verbrauchern genießen würden, punkten könnten.