Totschnig schlägt Alarm: Über 800 Beschwerden wegen unfairem Handel

Der aktuelle Bericht des Fairness-Büros zeigt: Auch heimische Direktvermarkter geraten immer stärker unter Druck.

Die Zahlen sind alarmierend. Sie zeigen aber auch, wie die Arbeit des Fairness-Büros immer wichtiger wird. Besonders dreist ist ein Fall aus der Fleischbranche. So erhöhte eine Handelskette den Konsumentenpreis eines Produkts um 30 %, gleichzeitig musste der Hersteller einen Preisrückgang um 2 % akzeptieren. Und es gab auch vermehrte Beschwerden von Direktvermarktern.

2024 ist die Zahl der Beschwerden über unfaire Handelspraktiken noch weiter gestiegen: 239 unmittelbare und 600 mittelbare Beschwerden wurden laut aktuellem Bericht des Fairness-Büros verzeichnet, zusammen 839. Zum Vergleich: 2022 gab es 21 unmittelbare Beschwerden, 2023 waren es schon 235. Und es gibt abschreckende Beispiele.

„Diese Zahl zeigt schwarz auf weiß, wie groß die Macht der Handelsketten gegenüber kleineren Produzenten ist. Um ein Ausnutzen von Machtpositionen zu verhindern, müssen wir kontinuierlich handeln“, so Bundesagrarminister Norbert Totschnig. Laut Minister fürchten viele Produzenten, ihren Regalplatz zu verlieren und sehen sich gezwungen unfaire Bedingungen zu akzeptieren, weil ihnen Alternativen fehlen.

Zusätzlich zu den Beschwerden hat das Fairness-Büro im vergangenen Jahr 225 allgemeine Anfragen zu unfairem Regelwerk bearbeitet. Die Zahl der mittelbar Betroffenen liege damit weit über 10.000 Betroffenen, heißt es im Bericht.

Mediationen erfolgten für sieben unmittelbar Betroffene vorgenommen. Die Anzahl der Betroffenen, für die mittelbare Mediationen ausgeführt wurden, beläuft sich auf über 1.000. Die Beschwerden betreffen Produkte wie Fleisch, Eier, Milch, alkoholische Getränke, Obst und Gemüse.

Die häufigste, absolut verbotene Praktik bleibt nach wie vor die einseitige Änderung der Lieferbedingungen. Aber auch Beschwerden über Zahlungsverzug und das Überwälzen von Qualitätsminderungen meldeten die Betroffenen zahlreich.

Immer wieder verlangen Abnehmern von Lieferanten Zahlungen, die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf stehen. Jahresvereinbarungen enthalten oftmals keine Angaben zu den Abnahmemengen, geschweige denn Abnahmegarantien. Die Produzenten können sich daher mengenmäßig nicht vorbereiten, müssen umgekehrt aber zahlreiche Rabatte einräumen, die in Summe weit über 10 % betragen können. Die Kreativität der Handelsketten bei Rabattforderungen ist sehr ausgeprägt. So verlangen sie neben Skonti beispielsweise auch Basis-, Mengenleistungs- und Steigerungsboni, Werbekostenzuschuss, Flugblatteinschaltungen oder Einkaufsgutschriften.

Vermehrt aufgetreten sind in erstmals 2024 Beschwerden über das Einschränken der Direktvermarktung. So erlauben Zwischenhändler ihren bäuerlichen Lieferanten mittels Vermarktungs- und Zusammenarbeitsvereinbarung eine Direktvermarktung nur dann, wenn sie einen unverhandelbaren Lizenzbetrag zahlen. Weiters schreiben Käufer unüblich hohe „unverbindliche Preisempfehlung“ für die Direktvermarkter vor. So kauft ein Zwischenhändler die Ware von verschiedenen kleinen bäuerlichen Familien und verkauft sie an den Lebensmittelhandel weiter. Mit der Einschränkung der Direktver-marktung drängt er so die kleinen Betriebe, ausschließlich an ihn zu liefern. Laut Tätigkeitsbericht liegt es auch daran, weil aktuell die Versorgungslage äußerst angespannt und die Nachfrage des Produktes hoch ist. Das Fairness-Büro sieht dies als typisches Beispiel, wie der Druck der Handelskette in der Wertschöpfungskette nach unten weitergegeben wird und die Schwächsten, kleinen bäuerliche Erzeuger, die am stärksten belastet sind.

Dabei ist das Einschränken der Direktvermarktung von Urprodukten rechtlich absolut verboten.

Das Fairness-Büro ermahnt in seinem Bericht daher die Akteure in den Handelsketten. Nötigendes oder erpresserisches Verhalten durch das Fordern von unangemessen niedrigen Einkaufspreisen kann nicht nur den Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erfüllen, sondern auch den strafrechtlichen Tatbestand der Nötigung, schweren Nötigung oder der Erpressung. Die Drohung mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz ist laut Fairness-Büro hingegen eine schwere Nötigung, welche mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu bestrafen ist.

Aktuell sind beim Kartellgericht zwei Verfahren wegen Verstößen gegen das Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz anhängig. Die Fälle hat das Fairness-Büro zur Anzeige gebracht. Zum einen betrifft dies den sogenannten „Lieferantentag“, bei dem Zahlungen verlangt wurden, die nicht unmittelbar mit dem Verkauf von Lebensmitteln in Verbindung stehen. Zum anderen steht die sogenannte „Apfel-Causa“ im Fokus, bei der es um Zahlungsverzögerungen von über 60 Tagen geht.

Der Handelsverband Österreich ist indes nicht beunruhigt. Wenn von mehr als 100.000 Betrieben insgesamt 239 Beschwerden eingebracht werden, sei das nicht einmal 2,4 Promille, rechnet der Verband in einer Presseaussendung vor. Geschäftsführer Rainer Will hält daher „Bashing jener, die am stärksten von regionalen Verarbeitern beziehen, kontraproduktiv.“ von Josef Koch