Dr. Malte Rubach: „Eine vegane Welt ist völlig abwegig“

Januar 2022: Ganz Deutschland zelebriert den „Veganuary“. Ganz Deutschland? Das könnte man tatsächlich meinen, wenn man die zahlreichen Nachrichten, Marketing-Offensiven und sich beteiligenden Unternehmen aus Gastronomie, Gemeinschaftsverpflegung, LEH und Lebensmittelproduktion zählt. Wissenschaftler wie der Ernährungsexperte und Buchautor Dr. Malte Rubach sehen den Hype dagegen eher kritisch und weisen darauf hin, dass eine rein pflanzliche Ernährung auch Schattenseiten wie mangelnde Nährstoffversorgung und hohen Frischwasserverbrauch haben kann – vor allem in anderen, oft ohnehin ärmeren Teilen der Welt. 

Herr Rubach, Sie beschäftigen sich mit Ernährungsphysiologie und den Inhaltsstoffen von Lebensmitteln. Seit ein paar Wochen begleiten Sie den Veganuary mit Posts auf LinkedIn, in denen Sie wissenschaftliche Fakten zu den Auswirkungen der rein pflanzlichen Ernährung auf die Umwelt und unsere Gesundheit darstellen. Darin kommt die vegane Ernährung nicht immer so gut weg wie bei anderen Quellen – beruht der Hype um den Veganuary etwa auf Fake News?

Dr. Malte Rubach: Ich habe gar nichts gegen den Veganuary, den es seit 2014 gibt und der in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Anfangs ging es vor allem um den Gesundheitsaspekt, inzwischen rücken die Folgen unserer Ernährung für die Umwelt immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Damit lässt sich die Zielgruppe aus Sicht von Unternehmen, Aktivisten und digitalen Influencern offenbar noch besser mobilisieren als nur mit der Frage nach den Tierrechten allein. Dabei geht es um das gute Gewissen beim Essen. Der Veganuary suggeriert: „Wenn ich noch nicht einmal diese 30 Tage ohne tierische Lebensmittel schaffe, bin ich ein schlechter Mensch“.  

Kann man sich heute überhaupt mit gutem Gewissen ernähren? 

Dr. Malte Rubach: Nein, es gibt wohl keine Chance auf ein zu 100 Prozent ethisches Leben. Ich halte es auch für problematisch, ein ethisches Konzept wie zum Beispiel den Veganismus über alles andere zu erheben. Tierethik ist ja kein allumfassendes Gesellschaftskonzept, wird aber teilweise sehr dogmatisch ausgelebt. Deswegen ist der Diskurs – auch der tierethische – sehr wichtig, um immer wieder nachzujustieren. 

Wie steht es denn um die positiven Folgen für Gesundheit und Klima, wenn mehr Pflanzliches gegessen wird?

Man darf aber – wie bei anderen Produkten auch – nicht nur auf die Klimawirkung des einzelnen Lebensmittels schauen. Beim Frischwasserverbrauch sieht es nämlich schon wieder anders aus. Der WWF – nicht gerade eine NGO, die sich für Fleischverzehr einsetzt – hat für Deutschland errechnet, dass die vegane Ernährung 50 Prozent mehr Frischwasser verbraucht als unsere aktuellen Verzehrgewohnheiten mit verhältnismäßig viel Fleisch. Und zwar nicht in Deutschland, sondern in Ländern, in denen Wasser eher knapp ist, weil wir sehr viele pflanzliche Produkte importieren, da wir hier gar nicht genügend Anbauflächen haben. Für die Produktion tierischer Lebensmittel reichen unsere Ressourcen hingegen – inklusive Futtermittel.

Sie argumentieren außerdem oft mit dem Nährstoffgehalt von Lebensmitteln … 

Dr. Malte Rubach: Auch dieser Faktor wird oft vernachlässigt, wenn wir Vergleiche von Klimawirkung pro Liter oder pro Kilogramm Protein präsentiert bekommen, beispielsweise bei der Milch und Milchalternativen. Aber das ist viel zu kurz gegriffen, weil Lebensmittel selten nur einen Nährstoff liefern. Hier werden auch oft Produkte aus unterschiedlichen Kategorien in eine Schublade geworfen, um zu suggerieren, dass es sich um gleichwertige Lebensmittel handelt. Statt Tiermilch mit Haferdrink zu vergleichen, müsste man die Bilanzen von Kuhmilch und Schafmilch oder Haferdrink und Sojadrink gegenüberstellen. 

Auf den ersten Blick sind die pflanzlichen Drinks natürlich klimaschonender. Berücksichtigt man jedoch ihren Nährstoffgehalt, ergibt sich ein anderes Bild. Da müsste man schon sehr viel Haferdrink trinken, um auf denselben Nährstoffgehalt wie bei Kuhmilch zu kommen – und es würden immer noch Nährstoffarten fehlen, die der pflanzliche Drink eben nicht liefert. Dann wäre die Klimawirkung von Haferdrink zehnmal so hoch wie die von Kuhmilch.

Eine vegane Welt wäre also gar nicht möglich und auch nicht sinnvoll … 

Dr. Malte Rubach: Erzählen Sie mal den Menschen in der Subsahara, dass sie keine Kühe, Schafe oder Ziegen mehr halten und stattdessen ihren Nährstoffbedarf mit Haferdrink decken sollen, die ihnen dann wahrscheinlich westliche Konzerne teuer verkaufen. Eine vegane Welt ist völlig abwegig, da werden Scheinrechnungen aufgemacht. Es gibt aktuell ca. 1,5 Milliarden unfreiwillige Vegetarier auf der Welt, die keinen Zugang zu Fleisch haben, es aber gerne essen würden, wenn sie denn könnten.