Doch nicht die Landwirtschaft schuld -Auf der Jagd nach den undichten Bohrlöchern

Seit 2005 steigt Methan in der Atmosphäre dramatisch an. Doch niemand weiß, woher das zusätzliche Treibhausgas kommt. Hauptverdächtig sind alte Bohrlöcher der Öl- und Erdgasförderung – auch in der Nordsee.

Der Wind peitschte in Martin Blumenbergs Gesicht, die an Bord spülenden Wellen durchnässten seine Sicherheitsschuhe, manchen seiner Kollegen wurde beim Arbeiten an Deck und im Labor mulmig. Windstärke 8 ist zwar nicht ungewöhnlich auf der Nordsee und auch nicht problematisch für das deutsche Forschungsschiff FS Heincke. Aber die teils tonnenschweren Instrumente mussten auf ihren Einsatz warten, bevor der Kran sie wieder zum Meeresboden fieren durfte.

Einzig die Hydroakustik lief noch: Wie eine Fledermaus sendete das unter dem Schiffsbug installierte Fächerecholot Schallwellen ausgewählter Frequenzen aus, um Gasblasen in der Wassersäule zu orten. Denn gesucht wurden bei der Ausfahrt 2019 Methanaustritte am Meeresboden – speziell bei Altbohrungen. Also jene über 16 000 stillgelegten und zuzementierten Bohrlöcher in der Nordsee, aus denen zwar nichts mehr gefördert wird oder die sich als unrentabel erwiesen, die aber womöglich Gas entkommen lassen.

Methan ist nach Kohlendioxid das zweitwichtigste Treibhausgas und entstammt sowohl anthropogenen als auch natürlichen Prozessen. Einen gewissen Anteil bilden auch Methanaustritte bei der aktiven Erdgas- und Erdölförderung sowie aus Altbohrungen. Methan verbleibt nur etwa ein Jahrzehnt in der Atmosphäre, also deutlich kürzer als das CO2 mit weit über einem Jahrhundert Verweildauer. Da Methan über 20 Jahre gesehen 85-mal stärker klimaaktiv als CO2 ist, wäre eine Reduzierung von Methangas-Leckagen eine Möglichkeit, um kurzfristig einen Beitrag gegen die Erderwärmung zu leisten.

Allerdings ist längst nicht klar, wo wie viel leckt, wie Martin Blumenberg von der BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) erläutert: »In der so genannten Erdgasvorkette, die alles von der Produktion bis zur Nutzung umfasst, wird gebohrt, gefördert, gereinigt, komprimiert, transportiert via Gasleitungen, verteilt auf die Länder und abschließend in Kellern mit Gasheizungen genutzt oder zur Stromproduktion in die Kraftwerke geleitet. Bei all diesen Schritten kann Gas verloren gehen, und das tut es auch. Die Frage ist, wie viel und wo, denn das betrifft letztendlich die Treibhausgasbilanz der Gasnutzung.«

Der Environmental Defense Fund EDF machte im Zusammenhang mit einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift »Science« bereits 2018 darauf aufmerksam, dass Methangas-Leckagen in der US-amerikanischen Erdgaskette mit mindestens 13 Millionen Tonnen pro Jahr wesentlich höher lägen, als bis dahin angenommen wurde. Methan ist für das Auge unsichtbar, aber mit einer Infrarotkamera kann man es an Land visualisieren. Eine Schlüsseltechnologie könnten spektrometrische Satellitenmessungen werden.

Noch ist eine globale Bilanz nicht erfassbar, da vorhandene Erdbeobachtungssatelliten wie Copernicus nur großflächige Superemitter auflösen können, wie etwa eine defekte Pipeline, aus der das unter Druck transportierte Gas in großen Mengen herausströmt, oder eine riesige Mülldeponie. Doch Kleinvieh macht auch Mist. Das EDF will daher noch dieses Jahr seinen »MethaneSat«-Satelliten ins All bringen, damit mittels hoch aufgelöster Methanmessungen auch all die unauffälligeren Leckagen in Echtzeit identifizierbar werden. Auch die künftigen europäischen Satelliten »Sentinel5« und »CO2M« sollen detaillierte Methanmessungen ermöglichen. von Tamara Worzewski